Vor 70 Jahren – Stunde Null für die Justiz?

Unter den Augen von Adolph Kolping

zurück

25.06.2015

„Der NS-Unrechtsstaat war niedergerungen, ein Rechtsstaat zu begründen – mit welchem Personal, unter welchen Startbedingungen?“ ist die Frage, die eine Vortragsreihe des Landgericht Augsburg in Kooperation mit der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg stellt. Da das Justizgebäude (Am Alten Einlaß) seit 1944 zerstört war, fanden die Verhandlungen in anderen Räumlichkeiten statt. Der Kolpingsaal war, obwohl das gesamte Kolpinghaus in der Frauentorstraße in Schutt und Asche lag, benutzbar. Spektakulärste Angeklagte, die im Kolpingsaal vor Gericht stand, war die Frau des Lagerkommandanten des KZ Buchenwald Ilse Koch.

70 Jahre nach der Ernennung von drei Richtern für Augsburg durch die Militärregierung am 9. Juli 1945 beginnt die Rechtsprechung mit Personen, die auf unterschiedliche Weise die Jahre des NS-Regimes erlebt hatten.

Auf einem Bild von Walter Sanders vom Dezember 1950 (siehe Link) sieht man die unter anderem wegen Mordes angeklagte Ilse Koch (1906-1967) bei der Verhandlung vor einem Lagerplan des Konzentrationslagers Buchenwald sitzen. Über dem Plan das Porträt des Gründers des Kolpingwerkes Adolph Kolping. Gewalt gegen Häftlinge, persönliche Bereicherung an den Wertgegenständen der Häftlinge, Sadismus bis hin zum Vorwurf, sich aus der Haut von Häftlingen Lampenschirme fertigen zu lassen, brachten Ilse Koch den Namen „Hexe von Buchenwald“ ein. Am 15. Januar 1951 wurde Koch wegen Anstiftung zum Mord, versuchten Mordes und Anstiftung zu schwerer Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Sie war damit die einzige Frau, gegen die in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit NS-Verbrechen eine lebenslange Haftstrafe verhängt wurde.

In einem weiteren Nachkriegsprozess standen der Ankläger Walter Huppenkothen (1907-1978) und der Richter Otto Thorbeck (1912-1976) von Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), Generalmajor Hans Oster (1887-1945), Karl Sack (1896-1945), Ludwig Gehre (1895-1945) und von Admiral Wilhelm Canaris (1887-1945) in Augsburg vor Gericht. Nach mehreren Freisprüchen zuvor waren sie 1955 von einem Schwurgericht in Augsburg zu geringen Haftstrafen verurteilt worden. Diese Urteile wurden aber ein Jahr später wieder aufgehoben.

Veranstaltungen

Vor 70 Jahren – Stunde Null für die Justiz?

Die Wiedereröffnung der Gerichte in Bayern (Privatdozentin Dr. Edith Raim)
Die Wiedereröffnung der Gerichte in Augsburg (Präsident Landgericht Dr. Herbert Veh)
9. Juli 2015, 19.00 Uhr
St.-Anna-Grundschule, Schaezlerstr. 26 (Haupteingang)

Die Aufarbeitung von NS-Unrecht durch die deutsche Nachkriegsjustiz

Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M.(LSE) (Erlangen)
28. Oktober 2015, 19.00 Uhr
Strafjustizzentrum Augsburg, Gögginger Str. 101

Der Prozess gegen Ilse Koch

Dr. Andreas Eichmüller (München)
4. November 2015, 19.00 Uhr
Kolpinghaus Augsburg, Frauentorstr. 29

Der Huppenkothen-Prozess

Prof. Dr. Arnd Koch (Augsburg)
11. November 2015, 19.00 Uhr
Landgericht Augsburg, Am Alten Einlaß 1

 

Das KZ-Buchenwald und Kolping

Der Geschäftsführer des Kolpinghaus International in Köln Theodor Babilon (1899-1945) war in Buchenwald interniert und starb im Außenlager Ohrdruf. Dort starb eventuell auch der Präses der Kolpingsfamilie Köln-Zentral und Vikar an der Minoritenkirche Heinrich Richter (1998-1945). Bereits seit 1958 organisieren die Thüringer Kolpingsfamilien Sühneandachten in Weimar bzw. im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald.

 

Gebet

„Mensch, wer bist du? Ich erkenne dich nicht mehr.
Wer bist du, o Mensch, Wer bist du geworden?
Zu welchem Gräuel bist du fähig gewesen?
Was hat dich so tief fallen lassen? …

Höre, Herr, erbarme dich!
Wir haben gegen dich gesündigt…

Denk an uns in deiner Barmherzigkeit. Gib uns die Gnade, uns zu schämen für das, was zu tun wir als Menschen fähig gewesen sind…

Niemals mehr, o Herr, niemals mehr!...

Denk an uns in deiner Barmherzigkeit.“

Papst Franziskus 2014 in Yad Vashem

25.06.2015
zurück