Du bist Priesterin / Priester. Die Taufe macht Dich dazu

Wie lebst Du Dein Priestersein?

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03.05.2020

Das Synodalforum 2 des Synodalen Weges der Kirche in Deutschland trägt den Titel: „Priesterliche Existenz heute“ Warum sprechen wir über die priesterliche Lebensform? Was geht uns die priesterliche Lebensform an? Ist das nicht Sache der Priester selbst? Müssen sie das nicht mit Gott, ihrem Gewissen, ihrem Bischof ausmachen? Müssen sie nicht ihr Leben, wie jede und jeder andere, vor Gott, vor sich selbst und vor der Gesellschaft verantworten?

Ergebnisse der MHG-Studie

Die sogenannte MHG-Studie zum Thema „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ stellt fest: „Bei Kirchenverantwortlichen kann ein autoritär-klerikales Amtsverständnis dazu führen, dass ein Priester, der sexualisierte Gewalt ausgeübt hat, eher als Bedrohung des eigenenklerikalen Systems angesehen wird und nicht als Gefahr für weitere Kinder oder Jugendliche oder andere potentielle Betroffene. Dann kann die Vertuschung des Geschehens und die Schonung des Systems Priorität vor der schonungslosen Offenlegung entsprechender Taten gewinnen. Eine so verstandene Kirchenraison fördert Geheimhaltung, Vertuschung und ungeeignete Reaktionen wie die in Teilprojekt 6 ermittelten Versetzungs-oder Sanktionierungspraktiken, die eher dem Schutz der Institution und des Beschuldigten dienen und die Interessen der Betroffenen außer Acht lassen.“

Und an anderer Stelle heißt es: „In den Personalakten… fanden sich bei Beschuldigten jedoch zahlreiche Hinweise auf Problembereiche oder Verhaltensauffälligkeiten, die nicht in direktem Bezug zum sexuellen Missbrauch standen. Dabei handelt es sich um Auffälligkeiten, die auch in anderen Berufskontexten vorkommen können. Solche Hinweise bezogen sich auf:

  • eine generelle Überforderung mit Dienstpflichten oder Problemen in der Amtsführung,
  • Vereinsamung,
  • Substanzmittelmissbrauch (Alkohol, Medikamente, illegale Drogen),
  • mangelnde soziale Kompetenz (z.B. im Umgang mit Gemeindemitgliedern oder Vorgesetzten), Reifungsdefizite oder psychische Auffälligkeiten,
  • besondere Belastungen, wesentliche Veränderungen oder spezielle Erschwernisse der Lebenssituation (finanzielle Probleme, Erkrankung, Pflege oder Tod von Angehörigen usw.).“

Was können wir tun?

Wir können nicht den Zölibat freistellen oder abschaffen. Wir können nicht die Priesterausbildung in den Seminaren ändern. Wir können die Zulassung von Frauen zum Weiheamt nicht einführen. Wir können keine Viri Probati zulassen. Sicher, wir können uns zu diesen Fragen unsere Meinung bilden und diese auch äußern. Aber was können unsere Gemeinden, unsere Kolpingsfamilien tun, damit sexueller Missbrauch durch Menschen im besonderen Dienst der Kirche nicht mehr vorkommt?

Welches Bild von Priestern haben wir?

Ein Ansatz zur Auseinandersetzung vor Ort könnte eine Auseinandersetzung mit dem Priesterbild sein. Wie legen wir das gemeinsame Priestersein mit den Priestern? Was unterscheidet den Priester von den anderen Gläubigen? Wie wurde lebten Männer früher und heute das Priestersein? Was hat sich durch das II. Vatikanische Konzil am Priesterbild verändert?

Diese Themen könnten zum Beispiel in einem Podiumsgespräch mit einem älteren und jüngeren Priester diskutiert werden. Ein anderer Zugang ist das Leben von Priestern und Heiligen bzw. Seligen (z.B. Adolph Kolping).

Ein in Deutschland wenig bekanntes Beispiel könnte der argentinische Priester Jose Gabriel del Rosario Brochero (1840-1914) sein. Er wurde 2013 selig- und 2016 heiliggesprochen.

Papst Franziskus schreibt nach der Seligsprechung an den Vorsitzenden der argentinischen Bischofskonferenz über Brochero: „dass der «Cura Brochero» endlich unter den Seligen ist, ist eine Freude und ein großer Segen für die Argentinier und die Anhänger dieses Pfarrers, der nach seiner Herde roch, der unter den Armen arm wurde und immer darum kämpfte, Gott nahe und dem ihn anvertrauten Menschen zu sein, der unserem leidenden Volk ein großes Wohl und eine Liebkosung von Gott gab und dies auch weiterhin tut.

Heute stelle ich mir gerne den Pfarrer Brochero auf seinem Maultier mit dem weißen Pony (Malacara) vor, während er auf den langen, trockenen und öden Pfaden der zweihundert Kilometer seiner Pfarrei von Haus zu Haus ging…, um sie zu fragen, ob sie etwas brauchten, und um sie einzuladen, die spirituellen Übungen des Heiligen Ignatius von Loyola zu machen. Er kannte jede Ecke seiner Gemeinde. Er blieb nicht in der Sakristei, um die Schafe der Herde zu kämmen.

Cura Brochero war ein Besuch von Jesus selbst in jeder Familie. Er nahm das Bild der Jungfrau mit, das Gebetbuch mit dem Wort Gottes, was notwendig war, um die tägliche Messe zu feiern. Sie luden ihn ein, Mate zu trinken, redeten und Brochero sprach mit ihnen auf eine Weise, die jeder verstand, weil es aus seinem Herzen kam - Glauben und Liebe, die er für Jesus fühlte.

José Gabriel Brochero konzentrierte seine pastorale Tätigkeit auf das Gebet. Sobald er in seiner Gemeinde ankam, begann er, Männer und Frauen nach Córdoba zu bringen, um mit den Jesuitenpriestern spirituelle Übungen zu machen. Mit wie viel Opfer überquerten sie die Sierras Grandes mit Schnee im Winter, um in der Hauptstadt Córdoba zu beten! …

Dieser apostolische Mut von Brochero voller missionarischem Eifer, dieser Eifer seines barmherzigen Herzens wie das von Jesu, der ihn sagen ließ: "Wehe mir, wenn der Teufel meine Seele stiehlt!", Führte ihn dazu, selbst böse Menschen und schwierige Mitbürger für Gottes Ruhm zu erobern. Es werden Tausende von Männern und Frauen gezählt, die dank der priesterlichen Arbeit von Brochero Abhängigkeiten und Meinungsverschiedenheiten aufgegeben haben….

Er war ein Pionier auf Reisen in die geografischen und existenziellen Peripherien, um allen die Liebe, die Barmherzigkeit Gottes zu bringen. Er blieb nicht im Pfarrbüro eingeschlossen, er erschöpfte auf seinen Maultierausflügen und erkrankte an Lepra, als er die Menschen als „Straßen“ -Priester (Callejero) des Glaubens aufsuchte. Genau das will Jesus heute, Missionsjünger, „Callejeros“ des Glaubens!

Brochero war ein normaler, zerbrechlicher Mann, wie jeder von uns, aber er kannte die Liebe Jesu, er ließ sich durch die Barmherzigkeit Jesu sein Herze schmieden… Er betete und feierte die Messe weiter bis, auch als er bereits blind war und Lepra hatte.“

Was brauchen Priester zum Menschsein?

Die MHG-Studie spricht von Vereinsamung, Gebrauch von Drogen oder Veränderungen durch belastende Lebenssituationen von Priestern. Können Gemeinden Heimat für Priester sein? Kann ein Priester in der Gemeinde Freunde finden? Hat eine Gemeinde eine Verantwortung für seine Priester? Ist ein Priester mehr als jemand, der Service-Leistungen erbringt, der Dienstleister ist? Lassen Gemeinden ohne Neid, Missgunst und Unterstellungen zu, dass ein Priester Beziehungen pflegt? Gestehen die Gemeindemitglieder einem Priester ein Privatleben zu? Welche Gemeinde braucht ein Priester heute, um leben zu können?

Roland Breitenbach, ehemaliger Pfarrer und Präses in Schweinfurt, schreibt in seinem Buch „Unterwegs in Sachen Gottes. Autobiografische Notizen“ (Leipzig 2019, S. 23-24): „Um mich nicht in den alltäglichen Aufgaben zu verlieren oder in Einsamkeit zu fallen, fand ich zu meinem Glück Freunde. Wir spielten einmal in der Woche Karten und gingen einmal die Woche zum Schwimmen. Sie entführten mich zu Ausflügen und Wanderungen durch halb Unterfranken und gingen mit mir bald in die Berge, schließlich brachen sie mich dazu, auf einem Hotelschiff auf dem Main entlang zur Donau bis zu ihrer Mündung die Zeit zu verbringen. Durch sie lernte ich auch die Kolpingsfamilie kennen. Ich wurde zum Präses gewählt, als mein Vorgänger wegen seiner Erkrankung aufgeben musste. Im Kolpinghaus, dessen Renovierung überfällig war, richtete ich eine Kapelle ein, in der wöchentlich einmal am Abend Gottesdienst mit der Gemeinschaft gefeiert wurde. Mein Einsatz in dieser großen Gemeinschaft schenkte mir nicht nur Abwechslung, sondern auch viel Ideen, die zumeist in der dortigen Gaststube entstanden.“

Wie gehen wir als Gemeinde mit Missbrauch um?

In der Vergangenheit wurde oft nicht den Opfern des Missbrauchs geglaubt, sondern die Täter verteidigt und entschuldigt. Strukturen der Vertuschung und falschen Umgang mit Tätern gab es nicht nur in höchsten Kirchenkreisen, sondern auch von Seiten der Gemeinden. Wie können Gemeinden stark werden? Wie können die Maßnahmen der Prävention umgesetzt werden?

Der Film „Gelobt sei Gott“ von François Ozon über den 70fachen Missbrauch eines Priesters in Frankreich könnte zur Auseinandersetzung mit den obenstehenden Fragen inspirieren. Der Film ist keine einfache Kost. Es spielt für die Auseinandersetzung keine große Rolle, dass der Erzbischof von Lyon, Philippe Kardinal Barbarin, inzwischen freigesprochen und von seinem Amt zurückgetreten, ist. Wichtiger ist zu beobachten, wie die Eltern und Freunde der Opfer oder auch die Gemeindemitglieder mit dem Missbrauchsvorwurf umgehen.

03.05.2020
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